Förderschulen erhalten oder eine Schule für Alle?

Sich die FDP vom Hals zu halten, ist für Menschen mit einem Jahreseinkommen von unter 60.000 Euro normalerweise kein Problem. Manch eine Förderschullehrerin wird sich daher verdutzt die Augen gerieben haben, angesichts der neuentdeckten Liebe der FDP zu ihrer Schulform.


Ein „Herzensanliegen“ gar ist der Erhalt der Förderschule Lernen den Liberalen nach eigenem Bekunden, sogar ein Volksbegehren hat sie dafür initiiert. Dabei ließe sich nun wirklich nicht behaupten, dass Eltern, Schüler oder Personal der Förderschule Lernen zum klassischen FDP-Klientel zu zählen wären. Und das sollte eigentlich schon reichen, um ein wenig misstrauisch zu sein. Die Vorgeschichte zur liberalen Charme-Offensive geht so: 2013 beschloss die damals rot-grüne Landesregierung Niedersachsens, die Förderschulen Lernen auslaufen zu lassen. 2017/18 sollten zum letzten Mal neue Fünftklässler eingeschult werden.


Nach der Landtagswahl 2017 stellte es die Große Koalition den Schulträgern, also den Kommunen und Landkreisen, frei, die Förderschulen Lernen für weitere fünf Jahre zu erhalten. Diese Frist ist mit Beginndes aktuellen Schuljahres ausgelaufen. Sollte die momentane Regelung bestehen bleiben, werden die verbliebenen Förderschulen mit Ablauf des Schuljahres 2027/28 ihre Tore schließen. In unserer Region beträfe das die Martin-Luther-King-Schule in Göttingen sowie die Erich-Kästner-Schule in Northeim. Und jetzt, pünktlich zur Landtagswahl, zeigt sich also die FDP besorgt um die Wahlfreiheit der Eltern und die individuelle Förderung der Kinder. Die CDU schließt sich der Forderung nach Erhalt der Förderschulen Lernen an, erklärt sie gar zu einer „wesentlichen Säule unserer Schullandschaft“ und arrangiert Treffen
ihrer Mandatsträger mit Verantwortlichen aus den Schulen.


Gern wird beim Argumentieren für den Erhalt der Schulen auf deren Rolle als, wie es die CDU formuliert, „behüteten Rückzugsort“ verwiesen. Vielen leuchtet das direkt ein, gerade auch denen, die Regel- und Förderschulen aus eigenem Erleben kennen. Zu selten wird hinterfragt, warum es einen solchen Rückzugsraum eigentlich geben muss, bzw. warum es ihn nicht im Rahmen der Regelschule geben kann. Es stimmt ja, die personelle Versorgung der Regelschulen mit Förderlehrern ist prekär, die Klassen dort um einiges größer als an den Förderschulen und die Lernatmosphäre infolge beider Umstände eine deutlich andere.
Der Knackpunkt ist die Ausstattung der Regelschulen mit den personellen und finanziellen Ressourcen, die sie in die Lage versetzen würden, ihrer neuen Rolle als Inklusionsschulen gerecht zu werden.
Inklusion als Einsparmaßnahme kann kein Erfolgsprojekt sein. Der Umbau des Schulsystems in Richtung Inklusion wird aber immer ein Kampf der „unteren“ Ebenen um knappe Ressourcen bleiben, solange das Gymnasium seine herausgehobene Stellung in der Schullandschaft behält. Diese Stellung hat es auf Kosten der anderen Schulformen und ist gleichzeitig darauf angewiesen, die schwierigeren pädagogischen Aufgaben auf diese abzuwälzen.


Denn die Regelschulen, in denen die Beschulung der Schüler mit Förderbedarf Lernen stattfindet, sind keine Gymnasien, sondern Haupt-, Ober- und Gesamtschulen, denen es selbst an Geld und Personal mangelt. Gerade aber an der Stellung der Gymnasien wollen FDP und CDU natürlich nicht rütteln, im Gegenteil: Ihre „Liebe“ zur Förderschule entspringt ihrer Liebe zum gegliederten Schulsystem und der von ihm verbürgten sozialen Auslese. „Individuelle Förderung“ im Sinne der FDP heißt nunmal für viele Schülerinnen: Bis hierher und nicht weiter. Die – bislang noch – ungeliebte Schwester von CDU und FDP, die AfD, spricht in ihren Forderungen zur Landtagswahl dann auch offen aus, worum es geht: Schluss mit dem „Irrweg“ Inklusion, Wiedereinführung des dreigliedrigen Schulsystems, mit dem Gymnasium an der Spitze, und Erhalt der Förderschule Lernen als Reservat, in das dann all diejenigen abgeschoben werden können, die aus diesem Raster herausfallen.